Rutengänge seit dem Mittelalter
Wie lange das Rutenfest schon gehalten wird, ist nicht nachweisbar. Wahrscheinlich reicht es bis ins 14.
Jahrhundert zurück, in jene Zeit, wo die Pest wütete, Missjahre und Überschwemmungen eintraten, Erdbeben stattfanden und die Eifersucht zwischen den Adligen und den Städtern sich in jahrelangen
Kämpfen auswirkte. In der ältesten erhaltenen Winterrechnung der Stadt von 1459 ist ein Hinweis über das "Hinausführen" der Schüler enthalten. Dass das Rutenfest einen religiösen Ursprung hat,
daß es eine stete Erinnerung an Pest, Hunger und Krieg sein sollte, geht aus den alten Rutenliedern des 18. und 19. Jahrhunderts hervor. Es brachte wohl auch den Dank der Bürger für die glücklich
eingebrachte Ernte zum Ausdruck.
Das "Rutengehen" wurde erstmals 1645 erwähnt. Die Schüler zogen mit ihren Lehrern ins Grüne, um dort die Züchtigungs-Ruten für das kommende Schuljahr zu schneiden.
Obwohl die Rute bei den Schülern nicht gerade beliebt war, wurden diese "Rutengänge" als Schulausflüge gefeiert. Lehrer und Schüler veranstalteten draußen im Grünen vor den Toren der Stadt fast
einen Tag lang Spiele und Tänze.Spaß und Ernst lagen auch im Mittelalter dicht beieinander, die Rute war Symbol für den Ernst des Lebens, das Rutenholen wurde ein Fest.
Obwohl das Rutengehen erstmals 1645 geschichtlich erwähnt ist, kann aus entsprechenden Zeugnissen in anderen Städten geschlossen werden, dass der Brauch auch in Ravensburg schon viel früher
geübt wurde.
Wann sich die Kinder und Lehrer entschlossen hatte, solche Rutengänge mit Singen und Spielen abzuschließen, ist nicht bekannt. Erst später, im 17. Jahrhundert
nahmen Eltern an dem noch bescheidenen Festfreuden der Schüler Anteil. Bald ließ sich auch die Geistlichkeit und die städtische Obrigkeit in das Feiern einbeziehen.Während die Rutengänge im 17. Jahrhundert jeweils zum Beginn der Schuljahre im Spätsommer gehörten, krönt das Rutenfest heute das nahende Ende des
Schuljahres.
Nach dem leidvollen Ende des 30-jährigen Krieges (1648) war das Rutenfest als das Fest aller Ravensburger geboren.
Vom Rutenzug im 17. Jahrhundert zum großem historischen Festzug im 21. Jahrhundert
Heute steht am Rutenfest der große Festzug durch die Stadt
an erster Stelle des Besucherinteresses. Vor 300 Jahren dagegen war der Rutengang eine höchst einfache Veranstaltung, an der außer den Eltern der beteiligten Schülern höchstens ein Teil der
Bürgerschaft mitzog. Erst im 17. Jahrhundert hielten es dann auch Honoratioren - vor allem der Rat - nicht mehr unter ihrer Würde, selbst mitzuwirken. Der Zug zieht seit dem 16. Jahrhundert zum
Festplatz auf der Kuppelnau.
Zehntausende von Menschen säumen heute alljährlich die festlich geschmückten Straßen und Plätze, durch die sich der über zweistündige Zug von kostümierten
Schülern, Dutzenden prächtiger Festwagen, Musikkapellen und Trommlerkorps bewegt.
In diesem farbenprächtigen Bilderbogen spiegeln sich Sage, Gesicht und Geschichte der Stadt wider, leben alte Zünfte auf und wird originalgetreu dargestellt, was die alten Ravensburger gearbeitet
und gebaut haben, wie sie sich gekleidet und woran sie sich ergötzt haben.
Längst ist das Rutenfest ein Fest der gesamten Stadt. Immer noch aber stehen die Schüler im Mittelpunkt des Festes, und der belaubte Zweig - die Rute - in der Hand der Schüler ist das Festsymbol geblieben. Brauchtum als Ausdruck eines historischen Gefüges hat daher seit vielen Jahrhunderten unser Heimatfest geprägt und immer wieder neu bestätigt.